„Ich fahre hier nur den Bus.“ sagt mir Kai Pfaffendorf bescheiden nach der Frage: „Was machen Sie hier eigentlich?“ Wenn das so wäre, dann würde wohl die eine von zwei Fahrbibliotheken in Thüringen nicht funktionieren, denn der Angestellte des Landkreises ist die Konstante in dem Duo zwischen Fahrer und Bibliothekarin. Als erfahrener Fernfahrer, der lange Europa durchquerte, steuert er seit fast zehn Jahren den Bus. Dabei fährt er mit einem seit 2014 neuen barrierefreien Fahrzeug in einem vier wöchigen Turnus über achtzig Haltepunkte an. Fünf Tage in der Woche steht die fahrende Bibliothek an Bushaltestellen, Gemeindeplätzen, Dorfanger oder in Schulhöfen. Der 53jährige erzählt mir, am Liebsten sind die Tage, wo viel los ist. Da kommen die Jungen und Mädchen aus den Kindertagesstätten oder Schulhorten. Dann holt er das Buchstabenkissen aus dem Gepäckfach und die Kleinen sitzen oder liegen dann vor den Regalen und blättern in den Geschichten ihrer Lieblingshelden.
Die Hortleiterin der Grundschule in Magdala ist von Anfang an begeistert von diesem Angebot. 24 Schülerinnen und Schüler kommen zurzeit in den Bus, hauptsächlich die aus dem Ort und den umliegenden Dörfern. Das sind fast ein Drittel der Hortkinder. Die anderen nutzen aber auch den Bücherbus in ihren eigenen Wohnorten oder gehen gleich in die Regionalbibliothek. Timo ist Regelschüler in Magdala und kommt eigentlich alle vier Wochen seit er in der 4. Klasse ist. Er nimmt ein Buch der „Drei Fragezeichen“ und eine DVD mit. Der Bus steht heute von 12.30 bis 14 Uhr auf dem Hof der beiden Schulen. Es waren 30 Kinder und drei Erwachsene da. „Da aber nächste Woche die Ferien beginnen, ist das wenig für heute.“ sagt mir die begleitende Bibliothekarin Frau Leiteritz. Erst wieder Ende August können Bücher abgegeben oder neue ausgeliehen werden.
Es gibt eine Übersicht in den Gemeindejournalen oder Amtsblättern sowie einen Aushang am öffentlichen „schwarzen Brett“ im Ort. Menschen, die in die Fahrbücherei kommen, sind entweder junge oder ältere Leser und Leserinnen. Für sie ist es schwer, die Bibliothek in der Stadt zu erreichen. Doch auch junge Eltern kommen mit mehreren Kindern zum Bus, weil es einfach bequem ist. Z.B. eine Auszubildende bestellet per Email und beauftragt die Großmutter ihr die Bücher vom Bus mitzubringen, diese zu verlängern oder zurückzugeben. Dies funktioniert prima, da der Bus vor Ort im Netz ist und von überall auf eine Thüringer Onlinebibliothek zugegriffen werden kann.
2011 wurden mehrere Zweigstellen zur Stadt-, Kreis-und Fahrbibliothek Apolda/ Weimarer Land zusammengeführt. Diese unterliegt der aktuellen Bibliothekssatzung.
Deutschlandweit gibt es noch 95 Fahrbibliotheken und 108 Fahrzeuge. „Leider werden keine neuen Trucks oder Busse angeschafft. Das bedeutet nur bei technischen Defekt wird ein Fahrzeug ersetzt, aber neue Fahrbibliotheken wird es nicht geben.“ sagt mir Johannes von Freymann am Telefon, der Vorsitzende der Fachkommission aller Fahrbibliotheken. Der deutsche Bibliotheksverband bietet in einem Forum für die Kollegen eine Plattform zum Erfahrungs- und Ideenaustausch. Leider hat es das Team aus Weimar noch nie zu einem überregionalen Treffen geschafft.
Kai Pfaffendorf ist lieber bei seinen Kundinnen und Kunden. Er weiß, dass er manchmal der einzige Kontakt ist für eine Generation von Menschen, die in alten Geschichten zu Hause sind. “Früher kam noch das Sparkassenauto oder der Bäcker; jetzt komme nur noch die Fahrbücherei.“ sagt der Busfahrer. Natürlich ist ihm auch klar, dass mehrere Leser die Förderung legitimieren, aber ohne dieses Angebot würde etwas in der Region fehlen und zwar eine Möglichkeit sich kulturell zu bilden. Ohne die Fahrbibliothek ist es besonders für Bewohner strukturschwacher Regionen schwer, das Medium Buch kennenzulernen. Herr Pfaffendorf kennt die Leute, die teilweise schon über 20 Jahre kommen, weiß was sie lesen wollen und was er ihnen empfehlen kann. Sie kommen gern ins Gespräch und plaudern auch mal über das Wetter und die Gartenerträge. Viele Leser und Leserinnen kommen schon von Anfang an und es wirkt, als ob sich Familienmitglieder treffen würden. Es ist eine herzlich vertraute und einladende Atmosphäre im Bus. Leonie und Amelie aus einem kleinen Dorf sind Leseanfängerinnen und lassen sich von Kai Pfaffendorf die Pferdebücher und- filme zeigen. Da er jedes Teil des fast 5000 Medienbestandes im Bus genau kennt, weiß er auch, was die Mädchen noch nicht gesehen haben. Die Kinder freuen sich über neue Tipps und verabschieden sich vom Busfahrer. Schon geht es zur letzten von vier angefahrenen Stationen an diesem Tag.
Abends, nicht vor sieben, rollt das Gefährt ins Busdepot Weimar. Kai Pfaffendorf muss noch saubermachen und aufräumen. Außerdem muss er für den nächsten Tag den Akku des Busses laden und natürlich auch für sich selbst. Er ist also nicht nur der Busfahrer!