Die späte Katze trifft den frühen Vogel Herrn Z.

Für einen Kulturmenschen ist ein Arbeitsbeginn vor sieben Uhr eigentlich Quälerei, besonders wenn der Fahrweg dahin nochmals fast eine Stunde dauert. Aber ich werde im Sekretariat einer Regelschule im Thüringischen Saaletal mit einem wunderbar duftenden frischen Kaffee begrüßt. Dort wurde schon gearbeitet. Obwohl mein Biorhythmus heute völlig verschoben ist, habe ich mich eingeladen, den Tag eines stellvertretenden Schulleiters einer kreativen Schule zu begleiten und ihn bei seinem Tun zu beobachten.
Herr Z. gehört in diese Schulgemeinschaft, wie jeder Pädagoge und Lehrer, jede Sekretärin und der Hausmeister, die Schülerinnen und Schüler. Denn er ist ein Teil eines Gefüges, was man Schule nennt. Ich sitze neben ihm im Sekretariat, im Lehrerzimmer in seinem Arbeitszimmer und begleite ihn immer im Gespräch durch das Haus. Da ich noch zu müde bin, höre ich lieber erst mal zu.  „Ich mach hier, dass der Laden läuft.“ So versteht er seinen Job und weiß aber auch, dass jeder ersetzbar ist. Er ist lieber im Hintergrund und versucht für alle, gute Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Gern will Herr Z. bis zum Ruhestand in fünf Jahren noch im Beruf sein. Trotz allen ständig wachsenden Herausforderungen und utopischen Aufgaben eines fernen Schulamtes liebt er seine Arbeit. 1979 hat Herr Z. als junger Lehrer für Polytechnik in seiner eigenen Schule angefangen, die er selbst als Achtklässler mit eröffnete. 2005 musste er diese wegen Ressourceneinsparung in seiner jetzigen Funktion schließen. Das war schon ein prägendes Ereignis, sagt er mir. Die politische Wende brachte ihm die Möglichkeit, sich in der Führungsebene einer schulischen Institution zu bewähren. Außerdem konnte er Erfahrungen in einer finnischen Firma machen. Dies möchte er nicht missen, denn dadurch hat sich sein Verständnis seiner Rolle in der Schule geschärft und seine Prioritäten herauskristallisiert. Für ihn sind Klarheit, Pünktlichkeit und Ehrlichkeit wichtig. Er kann dann gut arbeiten, wenn eine Struktur da ist, wenn die Aufgaben inhaltlich deutlich zugeordnet sind und man sich auf den anderen verlassen kann. Genauso hat für den Stellvertreter die Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen eine große Bedeutung. Er unterrichtet gern und hat mit speziellen Themen im Medienunterricht meist Zugang zu den Schülerinnen und Schülern. Er mag die Gespräche mit ihnen, egal ob im Schulhaus oder auf dem Hof. „Ich habe viel Verständnis für die Probleme dieser Generation, immer ein offenes Ohr. Lass mir da aber nicht auf der Nase herumtanzen und sag auch mal ‚Scheiße‘.“ Es wirkt so, als ob er wirklich die Kommunikation eher mit den Jungen als den Älteren sucht. Er beherrscht ihre Sprache.
Ich würde Herrn Z. als Basisarbeiter bezeichnen, einer vom ‚alten Holz‘ mit dem Ethos, Lehrer und Erzieher zu sein. Er ist bei den Lernenden und bei den Lehrenden oder sitzt an seinem Schreibtisch. Sein Tagesablauf ist klar strukturiert. Er hat Handlungsweisen entwickelt, die er bei jedem Problem abrufen kann; produktiv und zielorientiert.
„Mit der Kunst und der Kreativität habe ich es nicht so.“ sagt er mir, als ich nach dem Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“, welches 2011 an seine Schule kam, frage. Zu spontan hat man sich damals dafür entschieden, in der Hoffnung, Projekte, die man schon lange geplant hatte, zu finanzieren. Es dauerte, bis man die gegenseitigen Erwartungen kommuniziert und passende Partner gefunden hatte. Völlig überrumpelt haben ihn die Antragsverfahren, da er seine Stärken nicht im Schreiben und Formulieren sieht. Lieber wollte er etwas organisieren, was man sieht oder herzeigt. Es gab klare Vorstellungen der Kulturprodukte aus der Sicht des Kollegiums. Die Zielgruppe zu analysieren oder zu befragen war eigentlich nicht vorgesehen.
Lange haben wir über den Kulturbegriff diskutiert und dem Verständnis von Kunst im weitestes Sinne. Kulturtechniken sind für ihn Lesen, Schreiben und Rechnen als Voraussetzung für die Entwicklung eines Menschen. Dass aber die Erfahrung mit Kunst und Kultur als Herausbildung einer Persönlichkeit dazu gehört, hat er erst am Programmlaufzeitende erkannt. Alle Schülerinnen und Schüler beteiligten sich an der Gestaltung eines „Sitz- Verweil- Objektes“ auf dem Schulhof, was darüber hinaus als Kommunikationsinsel und Theaterbühne dient. Er hat hier Zusammenhalt und gemeinsames Agieren für eine Sache gesehen, was wohl der Traum einer jeden Führungskraft ist. Es ist früher Nachmittag. Es wird ruhig im Schulhaus. Mir zu liebe bleibt Herr Z. noch für ein Abschlussgespräch. Wir beginnen über die ‚Schule von morgen‘ zu spekulieren und zu philosophieren. Doch wir bleiben immer nah bei der Realität, manchmal aber doch schon mit sehr kreativen Ideen. So denke ich auf der Heimfahrt über das ein oder andere lange nach. Ich werde versuchen, die Gedanken sofort festzuhalten, d.h. ich werde noch am Schreibtisch sitzen, wenn Herr Z. schon lange….

Leave Comment