Mit Volker im Paralleluniversum

Das große schwere Rolltor schiebt sich ganz langsam auf und durch einen kleinen Spalt begrüßt mich die Hundedame Melli. Ich betrete den Hof dieses viktorianischen Gebäudes um eine Uhrzeit, um die die meisten Wiesbadener noch schlafen. Heute muss ich keinen Eintritt zahlen, denn ich habe einen anderen Zugang in das Kunst- und Naturmuseum gewählt. Dort habe ich eine „Führung“ bestellt, die so keine Besucherin je bekommt. Ich bin heute der „Schatten“ des Hausmeisters Volker Müller. An diesem Freitag begleite ich die Frühschicht einer „besonderen Institution“ in dieser städtischen Einrichtung. Seit fast 30 Jahren bewacht dieser Hausmeister die Kunstwerke, repariert Lampen, koordiniert „seine Putzkolonne“, kontrolliert die Klima- und Sicherheitsanlagen und schließt das Haus auf und zu. Damit beginnen wir um 6Uhr. Rundgang durch drei Etagen und immer durch die Hintertür. Ich kann dem Anfang 60jährigen gar nicht folgen, so schnell eilen wir an Schwänen im Flug, ein paar Beuys-Relikten und den bunten Bäumen von Katharina Gross vorbei. Er mag eher die Räume mit den Werken der alten Meister, aber sein Lieblingsbild ist zurzeit sowieso nicht da. Spitzwegs „Schmetterlingsfänger“ wird gerade in der Schweiz ausgestellt. Er kann eigentlich zu jedem Werk, ob in der Natur oder Kunst, eine Geschichte erzählen und wir kommen schnell ins Gespräch.
, Oh je, jetzt habe ich die Orientierung verloren.´ Kein Problem, ich bin Volkers Schatten, obwohl er mich denen wir begegnen gern als seine Praktikantin vorstellt. Das hat respektvolle Wirkung, sagt er. Wir treffen unzählige von den über fünfzig Menschen, die im Museum arbeiten. Den Techniker Michael, den Caterer Tim, den Einlassdienst Thorsten, die Schreinerin Eve, die Sekretärin Jessica, die Bibliothekarin Martina, den Magazinverwalter Salem, den Präparator Felix, zum Mittag die Kunstvermittlerin Astrid sowie externe Handwerker, eben fast alle die, die im Hintergrund den Laden am Laufen halten, meint Volker. Die ‚Restaurours‘, wie er sie liebevoll nennt, sind leider heute außer Haus. Mit Volker, der mehr als ein Hausmeister ist, habe ich Zugang zu Werkstätten, Depots, Heizungskellern und Dachplateaus. Es sind zahlreiche Räume in einem der drei hessischen Landesmuseen, das eine sagenhafte Sammlung sein eigen nennt. Hier brauch es viele Menschen, die diese Objekte pflegen, hegen, ausstellen und einem großen  ermöglichen. Aus einer Hintergrundperspektive schaue ich auf einen Apparat, der nach Meinung eines Hausmeisters dazu da ist, Menschen zu begegnen, wobei für ihn die Kunst ein positiver Nebeneffekt ist.

 

Diese Sicht auf die Dinge bringt er aus seiner Erziehung mit. Er ist mit seiner sächsischen Mentalität in einer Zeit vor der politischen Wende geprägt. Schon 1985 hat er den Ausreiseantrag gestellt, drei Jahre später mit Frau und zwei Kindern landet er direkt hier im Museum. Er wohnt seitdem im Seitenflügel des Gebäudes und genießt diese völlige Flexibilität, jederzeit zwischen und Arbeits- und Lebensraum zu wechseln. Dies braucht er auch, den bei ihm lebt sein pflegebedürftiger Vater.
Wenn er zurück schaut, bereut er nix, sagt er und würde es wieder tun, denn er hatte eine wunderbare Zeit hier. Er spricht schon in der Vergangenheit. Denn mehrmals am Tag betont Volker, dass er noch wenige Wochen hat, bis er seinen Lebensabend mit Vati in einem großen Garten in Radebeul verbringen wird. „Ich freue mich auf die ruhigen Jahre“ Es wird wohl der „neue Museumshausmeister“ in die Fußstapfen hinwachsen müssen, die Volker hinterlässt. Ich würde mich für das Museum und seine Besucher freuen, wenn es eine Person ist, die nicht nur Museumsdiener ist, sondern gern mit Menschen in einem Universum der Kunst und Natur arbeiten möchte.