Stöckchen, Leisten und Bretter oder kulturelle Bildung von unten

Für einen Sechsjährigen sind zwei Tage in der Woche in einer vierten Klasse einer Weimarer Grundschule genug. Er würde bestimme auch gerne jeden Tag hingehen, aber er muss das nicht. Für ihn besteht keine Schulpflicht! Wenn er da ist, ist er als eher Kleiner der große Star in der Klasse, obwohl er eigentlich meist dösend herumliegt. Wenn ihm mal was nicht passt, gibt es einen kurzen Laut und alle wissen Bescheid.
Ich treffe Bruno und versuche herauszufinden, was er hier eigentlich macht.„Eigentlich ist es für mich nicht üblich, in die Schule zu gehen. Aber dort ist wenigstens immer was los. Die anderen in der Klasse sind nicht so groß, wie sonst üblich die Erwachsene um mich herum. Ich bin gern dort, weil die Kinder auch immer so gern wie ich spielen wollen. Aber ich habe in meiner ersten Ausbildung lernen müssen, das geht in einer Schule nicht immer. Hier ist man, um etwas zu lernen. Die anderen lernen Lesen, Rechnen und Schreiben und ich lerne immer neue Mädchen und Jungen kennen. Dabei hab ich auch schon gemerkt, dass es dem einen oder anderen gut tun, wenn ich bei ihm bin. Deshalb setze ich mich neben ihm, erlaube ihm mich mal anzufassen oder auch mal sich anzulehnen.
Die Lehrerin vorn kenne ich sehr gut. Wir sind ein Superteam, immer dienstags und donnerstags in der 4a. Co-Teaching oder pädagogische Doppelbesetzung sagt man auch dazu, glaube ich. Aber eigentlich kann ich das auch allein. Mit mir wollen die Schüler immer lieber rechnen als mit ihr. Ich ziehe z.B. auch aus einem Kartenstapel eine Zahl und dann geht es gleich los. Die Grundschüler finden Aufgaben dazu und überlegen Rechnungen. Wenn das gut klappt, bekomme ich ein Leckerli. Für die Kids ist es eine Belohnung, mit mir einen Weg zu erledigen oder eine Runde zu gehen. Dafür gibt es aber feste Rituale und Regeln, die wir erst lernen mussten. Da ist mein Frauchen ganz streng. Ist auch gut so, dann kommt auch keiner durcheinander und jeder weiß Bescheid.
Noch spannender ist für uns alle, wenn wir raus in unseren Naturgarten der Schule gehen. Wir zeigen uns dort gegenseitig geheime Orte und Verstecke. Wir bauen oft zusammen etwas. Die Mädchen und Jungen sind die Kreativen und ich bin der Spezialist für die Stöckchen. Im Frühjahr haben wir ein Weidenruteniglu mitten in den Schulgarten gesetzt. Das war toll! Unheimlich viele Äste haben wir dafür gebraucht, die aber eher alle nach Haselnuss geschmeckt haben – egal. Jetzt sind richtig viele große Stämme in unseren Garten gekommen; die ich nicht mehr rumtragen kann. Da entsteht wirklich was richtig Großartiges. Das Projekt startete schon letztes Jahr im Januar mit dem Entwurf von Modellen aus vielen kleinen Leisten. Jetzt sind es Bretter, die genagelt und geschraubt werden. Es wird so was wie eine Laube werden, vermute ich. Da bin auf ich auf alle Fälle dabei! Wuff“

Im imaginären Dialog mit dem Schulhund der Parkgrundschule Ehringsdorf ,Bruno, denke ich als Schreiberin dieses Blogs über die Relevanz von Tieren für die kulturelle Bildung nach. Kann der ausgebildete Labrador-Retriever Mittler oder sogar Anstifter für kreative Prozesse sein?
Als Anwesender im Klassenzimmer ist er als äußerst sensibler Seismographen für das Geschehen bedeutsam. Als Übertragungsobjekt kann er in der psychoanalytischen Therapie oder in der tiergestützten Pädagogik wichtig sein. Dabei spielen Probehandeln, Linderung von Angst und Bedürfnisse von Nähe und Distanz eine Rolle.
Obwohl die die Wirkung eines Hundes in der Therapie eher zufällig von einem amerikanischen Kinderpsychologen in den 60er Jahren entdeckt wurde, kann erst seit den 70ern von einer weltweiten wissenschaftlichen Forschung in diesem Feld gesprochen werden. Die ersten tierischen Helfer in der Schule gibt es in Deutschland seit zwanzig Jahren und seit einer Dekade ist der sogenannte „Schulhund“ als Begleiter in der Erziehung und Bildung anerkannt. Die tiergestützte Intervention in der Pädagogik steckt in Deutschland noch in den Anfängen. Es gibt ein eher unübersichtliches Netzwerk von Instituten, Zentren für Ausbildungen und zahlreichen Publikationen. Gute Erfahrungen haben die Experten in Verbindung mit der Umweltbildung oder der Erlebnispädagogik in allen Altersstufen. Doch welches Potential birgt die Anwesenheit eines Tieres im Kontext der kulturellen Bildung in sich? In der Therapie geht es in der Beziehungsgestaltung um emotionale Zuschreibungen, die entwicklungsfördernd sind. Im Umgang mit dem Hund geht es dabei in einem Prozessgeschehen z.B. um das Training von Kompetenzen wie Geduld, Ausdauer, Disziplin, Anerkennung, Umgang mit Reaktion, Klarheit und Körperpräsenz sowie Emotionen. Sind kreative Prozesse nicht auch von diesen Eckpunkten geprägt? Lernt ein Kind diese, kann es dies in die künstlerischen Arbeit übertragen oder auch umgekehrt.
Mit dieser These schaue ich auf eine wunderbare Zusammenarbeit mit Bruno und den Kindern bei dem Bau einer „Laube der Fantasie“ im Naturgarten der Schule zurück. Vielleicht verhilft uns seine Froschperspektive zu einer veränderten Sicht auf die Dinge? Mit seinem Blick von unten unterstützt er einen niederschwelligen Ansatz in der kulturellen Bildung, der dennoch eine hohe Qualität bei der Stärkung der Persönlichkeit darstellt.