Besuch im MalRaum

Wer bei dieser Überschrift an einen älteren Herrn denkt, der jahrelang einen Ort für alle Menschen zur Verfügung gestellt hat, die einfach mal malen wollen und wo es um nichts als das Erleben geht, liegt richtig. Ich besuche heute Leonie Wedel, die im Sinne von Arno Stern in Weimar einen Malort gegründet hat. Über eine Werbepostkarte bekam ich Kenntnis vom diesem geschützten Raum für das Malen und war nun neugierig auf eine weitere Jüngerin des berühmten 93-jährigen französischen Forscher.

Ich treffe in einem ehemaligen Ladenlokal mitten im Zentrum dann eine Frau, die sich mit dem nötigen Respekt und der reflektierenden Distanz dieses Konzepts eines Erlebnisraumes stellt. „Ich wollte mich neu definieren, wie eine Art Neustart“. Die gebürtige Esserin ist viel rumgekommen und hat lange in Warschau gelebt. 2015 hat sie sich für die Kulturhauptstadt entschieden. Sie war auf der Suche nach Veränderungen und fügte sich einer frühen melancholischen Erinnerung. Es gibt hier eigentlich auch familiäre Wurzeln, sagt sie. „Ich habe mir nicht Weimar ausgesucht, sondern Weimar hat mich gerufen.“

Leonie Wedel im MalRaum Weimar

Die studierte Bühnen- und Kostümbildnerin hat nicht nur am Theater gearbeitet, sondern auch im Kindergarten. Hat dann als Mutter angefangen zu malen und arbeitet jetzt in ihrem Konzept MalRaum als Auftragsmalerin einerseits und anderseits als Bereitstellerin des Malort. „Ich war auf der Suche nach etwas, wo ich was mit Menschen machen kann ohne ihnen etwas beizubringen.“ Erst 2015 ist sie bei Recherchen auf Arno Stern gestoßen und hat das Malspiel entdeckt. Sich selbst dann ein Jahr in Erfurt ausprobiert, eine Ausbildung 2016 in Paris bei Arno Stern gemacht, um nun hier einen integrierte Raum in ihrer Galerie zur Verfügung zu stellen: Vier Wände, bis oben hin mit braunem Packpapier verkleidet und kein Fenster. In der Mitte ist der Palettentisch mit 18 Farben sowie unterschiedlich dicken Pinseln und einem Wasserbecher für jede Farbe. An die Wände wird mit Reißnadeln das Blatt angeheftet. Dann wird einfach gemalt. Ein Blatt folgt dem anderen. Das Tempo bestimmt der oder die Malende. Zwar gibt es diese verbindlichen Spielregeln – die betreffen meist nur den äußeren Rahmen. Zum Beispiel bleiben die entstehenden Arbeiten im Archiv. Sie werden nicht kommentiert, beurteilt oder gar mit Verbesserungsvorschlägen bedacht. Mit den Farben und Pinseln gehen auch die kleinsten Kinder schon sehr sorgfältig um. „Ohne Kinder ist das Malspiel eigentlich nix. Die Mischung macht’s. Bei Kindern ist alles da.“ Sagt Leonie Wedel. Zwar sind manchmal zwischen den angepinnten Blättern nur wenige Zentimeter Platz, aber trotzdem konzentriert sich jeder auf sein Papier. Allein und doch nicht allein. Ohne Vergleichen, Wettbewerb oder Konkurrenz. Der Malort soll alles Angelernte, Eingeübte und sämtliche Beeinflussungen vergessen lassen. Er soll zutage fördern, was jeder an Erinnerungen in sich trägt.

Ich frage sie, wer zu ihr kommt und sie meint, es sind Menschen, die eigentlich kein Geld haben. Sie fahren manchmal weit, weil sie sich hier besonders wohl fühlen. Mutter mit Kindern, junge Flüchtige oder einfach jemand von neben an.

Die Künstlerin übernimmt in ihrem Malort klar die Rolle als Dienende und freut sich über die Begegnung mit den Anderen. Es ist ein Ort mit Menschen, die ihre Persönlichkeit einbringen ohne die der Malort nicht funktionieren würde. „Ohne Worte bin ich da und erkenne was jeder braucht. Sorgfältig, bedächtig und diszipliniert. Es ist der Dienst an diesem Menschen, dass er oder sie ganz in den Genuss des Malens kommt. Ich fühle mich in dem Moment wirklich in die Menschen hinein, sodass sie sich ganz hingeben können.“ Auch für sie ist es eine Entwicklung. „Ich probiere mich aus und bin offen.“

Fast in jeder Großstadt gibt derzeit einen Malort nach Arno Stern. Ich überlege, ob es für eine Malspiel eine Verortung im Feld der kulturellen Bildung gibt? Vielleicht ein mobiles Malspiel für Kitas, Schulen oder auch Unternehmen, wie es z.B. der Malspiel Leipzig anbietet? Leonie Wedel kann sich schon vorstellen, einen Raum zum Malen in der Schule diametral zur Kunsterziehung zu schaffen, aber es gibt dort formale Einschränkungen und dies ist es kein Malort nach Arno Stern. Es braucht die Person, die dem Malspiel Dienende, sonst fehlt das Ritual und der Halt für die Malenden. Sie sieht sich eher nicht im „Teich der kulturellen Bildung, vielleicht in einem anderen Gewässer?“. Dabei ist sich aber sicher, dass sie zur Kultur beiträgt. Für sie ist es keine Bildung in dem Sinne, eigentlich das Gegenteil. Sie setzt voraus, dass die Dinge im Menschen vorhanden sind, deshalb trägt sie ihrer Meinung nach schon zur Persönlichkeitsbildung bei. Man kann beim Malen zu einer neuen Haltung kommen. Etwas Neues in sich finden und eine andere Sicherung im Leben; eine kreative, aus sich heraus schöpfende Erfahrung. Über ihre Worte denke ich lange nach!

Der Pädagoge Arno Stern wendet dies seit 70 Jahren an – mit dem Ziel, die natürlichen, unverfälschten und unbeeinflussten Fähigkeiten eines Menschen zu stärken. Oder – Stern nennt es „organische Erinnerungen“ – zu aktivieren.  Er sagt dazu: Im Malort entwickelt sich die Persönlichkeit, dehnt sich zu einer ungeahnten Dimension aus und wird befreit von allem, was ihr nicht eigen ist: von den Einflüssen, von den Anpassungen, die sie einschränken. In diesen außergewöhnlichen Momenten erlebt die Person nur sich selbst.“

Was im Malort geschieht, lässt sich weder mit einem Kunstkurs noch mit therapeutischem Malen vergleichen. Also lässt es sich auch nicht einfach so in eine Schule implementieren. Also wenn ich nicht dort bin, versuche ich einfach mal zu Malen, etwas an einem geschützten Ort nur mit den Händen und Werkzeug zu tun, etwas nur aus mir fließen zu lassen und diene nur mir selbst.