Agentin auf Zeit

Von einem Besuch auf einer documenta in Kassel, vielleicht in diesem Jahr auch in Athen, kann man bestimmt in vielen Blogs lesen. So stütze ich mich auf mein Lieblingsthema „Wie kommt die Kunst zum Kinde?“ und versuche die Agentin der doc 14 zu treffen. Juliane Gallo ist genau wie ich eine „Kulturagentin für kreative Schulen“, im Auftrag von M. unterwegs und doch kennen wir uns als Kolleginnen nicht.  Sie betreut in Kassel und Umgebung acht Schulen, die aus über 30 Bewerbungen ausgewählt wurden. Sie ist nie‘ undercover‘ unterwegs, um bei Kindern und Jugendlichen Neugier für die diesjährige documenta zu wecken, Kenntnis über die weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu vermitteln und künstlerische Projekte zu entwickeln, bei denen sich die schulischen Akteure aktiv einbringen können. Das ist neu und bis Ende des Jahres hat Juliane Gallo Zeit, zu reflektieren, was es heißt, Themen der aktuellen Kunst direkt und konkret in Hessischen Schulen in nur hundert Tagen zu verhandeln. Sie sagt von sich, dass sie wie Hermine Granger versucht es allen recht zu machen mit der Angst, das nicht schaffen zu können. Obwohl sie viel Erfahrung in der Vermittlung mitbringt, eine begeisterte Netzwerkerin ist und Ressourcen wie Kunstgeld für Projekte und Ansprechpartner in den jeweiligen Schulen hat, leidet sie an permanenter Überforderung. „Ich bin Einzelkämpferin im Team der doc 14 und müde davon jedem zu erklären, was ich da eigentlich tue, auch in den eigenen Reihen.“ Die Arbeit in den Schulen bringt nochmals andere Herausforderungen mit sich. „Die Schüler können nicht einfach ein Museum als „außerschulischen Lernort“ besuchen und sich dann damit auseinandersetzen. Und: Es ist eine Herausforderung, documenta-Themen in den Schulalltag zu integrieren, der vom 45-Minuten-Takt und davon bestimmt ist, den Stoff des Lehrplans zu bewältigen.“ Juliane Gallo hospitierte in allen beteiligten Schulen und alle vier Wochen lud sie die Kulturbeauftragten der Schulen zum Austausch ein. Sie äußert sehr wertschätzend „Meine wahren Verbündeten sind die Lehrerinnen und Lehrerin in den Schulen“.
Also mache ich mich auf die Suche nach diesen Kollaborateuren. Ich fahre in die Theodor-Heuss-Schule nach Baunatal mit der großen Erwartung, die Kunstlehrerin zu sprechen und wenige Schüler zu interviewen. Außerdem bin ich neugierig auf den temporären documenta Raum im Schulhaus, das doc-Lab. Schnell war meine Ernüchterung da. Ich treffe niemanden, der mir eigentlich sagen kann, was hier zum documenta Projekt gehört. Mir wird ein Kunstraum aufgeschlossen, der eher wie eine Abstellkammer für nie abgeholte Schülerarbeiten auf mich wirkt. Ich erkenne aber die Idee des Labors; einerseits gibt es Infos zu allen documentas und anderseits ist es ein Experimentierraum, in dem man sich mit den politischen Themen wie Krieg, Verfolgung, Terror und Deplacement der diesjährigen documenta auseinandersetzen kann.
Danach gibt es aber noch die Idee, die THS- Schülergalerie in der Stadt zu besuchen, in der man eine Auswahl der besten Arbeiten fächerübergreifender Gemeinschaftsprojekte besichtigen kann. Ich bekomme eine Schülerin zur Seite, die mir den Weg zeigt.

bild aus den blog „Banautal bewegt“

Da habe ich dann doch noch mein Schülerinterview! Die Achtklässlerin Leonie opfert ihre Geschichtsstunde, um mit mir einen Ort am Marktplatz zu finden, wo die Kunstwerke zu besichtigen sind. Wir sprechen über ihren documenta- Besuch und die Eindrücke in der „neuen neuen Galerie“. Dieser „Schädel-Vorhang“ und die riesige Video-Projektion der Gesichter ist ihr in Erinnerung geblieben. Natürlich dieses monumentale Gebilde des Pantheons  am Friedrichsplatz auch. Warum und wieso diese weltbekannte Kunstausstellung in Kassel ist, hofft sie aber noch zu erfahren. Beim Schlendern durch eine Stadt, die gefühlt nicht so alt ist, wie die documenta selbst, treffen wir auf unzählige kitschig gestaltete kleine VW Käfer, aber nicht auf Schülerkunst. Wir fragen uns durch und dann schauen wir endlich durch die Fenster eines leeren Ladengeschäfts in einer Einkaufsstraße und schauen und schauen. Es stellen sich dann mehr Fragen als es Antworten gibt.

Trotzdem denke ich, dass die Intention die Vermittlung im schulischen Kontext aufgegangen ist. Eine weitere documenta ist Vergangenheit, aber die erste mit einer Agentin, die in die Schule hineinwirkt. Im Kasseler Kulturbahnhof kann man noch bis zum 22.9.2017 Videos, Skulpturen, Fotografien, Malereien und Möbeldesign von Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Kunst besichtigen. Ich hoffe, dass sich der Einsatz von Kulturagenten für die documenta und andere temporäre Biennalen und großen Kunstprojekten durchsetzt und diese Idee verstetigt… und wenn es die einzige positive Erkenntnis der diesjährigen documenta ist!

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